Wenn ich an meine Kindheit, meine Jugend und meine erste Ehe zurückdenke, habe ich stets nur körperlichen sowie seelischen Schmerz in Erinnerung. Ich hatte eine unendliche Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit.
Mein Vater kam 1973 alleine aus der Türkei nach Deutschland und holte uns, die Kinder (13, 6, 4 und 1 Jahr alt) und meine Mutter, vier Jahre später nach. Mama wollte nie nach Deutschland. Sie war oft unzufrieden und suchte Streit. Dadurch war sie mir weder als Mutter noch als Ehefrau ein gutes Vorbild. Vater war spielsüchtig und mit allem überfordert. Das ließ er uns fast täglich spüren – körperlich und psychisch.
Heute danke ich Gott dafür, dass er mich von der Bitterkeit gegenüber meinen Eltern befreit hat. Lange Zeit war ich gefangen in den negativen Empfindungen ihnen gegenüber. Inzwischen sehe ich die Dinge anders als damals. Ich weiß, dass Vater einerseits auch selbst darunter gelitten hat, uns wehzutun. Andererseits war er zu schwach und zu feige, um daran etwas zu ändern. Es gab keine Hand, die ihn leiten konnte. Er war allein. Seine Kinder waren Menschen zweiter Klasse und die scheinheilige Verwandtschaft oder die Freunde hatten Vorrang.
Ich war sechs Jahre alt, als wir nach Deutschland kamen. Ich ging direkt in die Schule – und verstand kein Wort. Trotzdem entwickelte ich mich zu einer guten Schülerin und schloss die Hauptschule mit einer guten Qualifikation ab.
Ist Allah Gott?
Obwohl meine Eltern ihren Glauben als Muslime eher oberflächlich ausübten, dachten sie dennoch streng traditionell. Das hieß für mich: Die Welt der Weiterbildung bleibt mir verschlossen. So landete ich in einer Fabrik an unserem Ort, in der meine sieben Jahre ältere Schwester und mein Vater auch arbeiteten. Ich litt sehr darunter und betete, dass Allah mir eine Tür öffnet. Ich wollte doch so gerne einen Beruf erlernen. Doch es tat sich nichts, diese Tür blieb verschlossen. Allah für meine Situation anzuklagen oder zu verwerfen, kam mir nie in den Sinn.
Schon als Kind hatte ich große Ehrfurcht vor Gott und suchte vor allem in der Natur seine Nähe. Dort sah ich seine ganze Schönheit und Einzigartigkeit. Dieses Bild von Gott passte aber nicht mit dem zusammen, was mir von Allah vermittelt wurde. In der Natur begegnete ich einem Gott, der mir nah war. Ich empfand Ruhe, Trost und Geborgenheit. Allah hingegen kannte ich vor allem als strafend, streng und unnahbar.
„Meine Fragen an Allah blieben ohne Antwort.“
Ich wollte Allah meine Ehrfurcht zeigen, indem ich versuchte, die Gebote zu halten. Ich lernte auf Arabisch Gebete auswendig, betete fünfmal am Tag zu Allah und hielt den Ramadan ein. Trotzdem fühlte ich mich innerlich leer, als ob Allah gar nicht da wäre. Meine Fragen an ihn blieben ohne Antwort, ich verstand aber nicht warum.
Unglückliche Ehe
Als ich 18 Jahre alt und damit vor dem Gesetz volljährig war, war mein Vater der Meinung, dass es für mich an der Zeit sei, zu heiraten. Er hatte Angst um mich oder eher gesagt Angst um seine Ehre. Daher beschloss er, mich zu verheiraten. Da die Eltern uns Kinder emotional in der Hand hatten, konnte ich mich nicht wehren. Inzwischen habe ich meinen Eltern vergeben können, aber damals kam ich mir vor wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird.
Die Ehe war von Anfang an die Hölle. Mein Mann sah es als sein Recht an, über mich zu herrschen. Soziale Kontakte gingen in die Brüche, weil er für viele unerträglich wurde. Er verbot mir den Kontakt zu meinen Eltern und Geschwistern, mit denen er auch im Streit war. Ich wurde körperlich und seelisch misshandelt, erst recht, wenn ich anderer Meinung war als er. Wir bekamen einen Sohn, der leider schon im Alter von zwei Jahren starb. Dann brach alles zusammen, ich war nur noch eine leblose Hülle.
Flucht nach vorne und ein Neubeginn. Nächste Woche erfährst du, wie Gülcans Leben eine dramatische Wende erfährt – und wie sie in einen großen Konflikt gerät.